Die Ratten - AD Theater-AG

Direkt zum Seiteninhalt
Vergangene Spielzeiten > Spielzeit 2010 / 2011
Die Ratten

Berliner Tragikomödie von Gerhart Hauptmann
 
Auf dem Dachboden einer Berliner Mietskaserne treffen die unterschiedlichsten Schichten der Gesellschaft aufeinander. Da gibt der zur Zeit arbeitslose Theaterdirektor Hassenreuter zwischen den Kisten seines Fundus privaten Schauspielunterricht, um seine Familie bis zur nächsten Festanstellung über Wasser zu halten, während das schwangere Dienstmädchen Pauline ins Wasser gehen will, weil sie die Schmach eines unehelich geborenen Kindes nicht glaubt aushalten zu können. Der polizeilich nicht ganz unbekannte Ganove Bruno Mechalke hofft auf bessere Zeiten und der junge Theologiestudent Erich Spitta plant die radikale Umkehr seines Lebens, auch wenn es den Bruch mit seinen Eltern bedeuten sollte. Mittendrin in dieser ungewöhnlichen Hausgemeinschaft hat die Frau des ehrlichen Maurerpoliers John die Fäden in der Hand. Jette John zieht die Strippen zu ihren Gunsten, bis sie sich in einem Gespinst aus Lügen und Ausreden verheddern muss und am Ende das Schicksal menschlich verständlich, aber tödlich zuschlägt.
   Ausgehend von einer wahren Begebenheit positioniert sich Hauptmann selbst in seinem Drama irgendwo zwischen den Ansichten des jungen Umdenkers und radikal mit den Theatertraditionen brechenden Spittas und den des älter werdenden Theaterdirektors Hassenreuter.
   Der Literaturkurs 13 spielt das von Gerhart Hauptmann als Tragikomödie bezeichnete Drama über die Probleme der bürgerlichen Gesellschaft ein gutes Jahrhundert nach seiner Premiere im Januar 1911. Doch überraschenderweise hat das Stück, trotz seines vermeintlichen Alters, nichts von seinem kritischen Potential verloren. Die von Hauptmann gezeichnete Gesellschaft scheint der unsrigen wie ein erschreckendes, wenn auch überwunden geglaubtes negatives Vorbild, wobei sich manche gesellschaftliche Konstellation von heute nur marginal von der des Hauptmannschen Berlins der letzten Jahrhundertwende unterscheidet.
 
„Da ist Erich Spitta, ein junger Mensch, der es ernst mit sich und dem Leben meint und nicht zögert, aus seinen Beschlüssen die Konsequenzen zu ziehen. Der Theologe wird Schauspieler, verkracht sich mit seiner Familie, stellt seine (und Hauptmanns) ästhetische Überzeugung gegen Hassenreuters, des Narren, der doch wohl die meisten Bühnen beherrscht, und wird seinen Weg machen oder zerbrechen. Wir begegnen ihm, eh’ das entschieden ist: an der Schicksalswende, die uns unter anderen Verhältnissen nahe ginge. Hier aber, wo sich daneben das Schicksal der Jette John vollzieht, wird die Entwicklungsgeschichte des Erich Spitta zur Episode, zur Bagatelle, zum Nichts – und Jette Johns tragisches Schicksal gründe auf einer Illusion, einem Spuk, einer Lüge und könnte durch ein Wort der Erklärung, rechtzeitig herausgewürgt, seine Schrecken verlieren!

Tragikomödie. Schön ist hässlich, hässlich schön, wichtig unwichtig und umgekehrt. Alles schwankt. Alles ist doppelbödig. Alles ist traurig und spaßhaft in einem Atem.

Man nehme den Schluss des dritten Aktes: wie die Piperkarcka um das hektische Kind der Knobbe ringt, das sie für ihr eigenes hält; wie die Knobbe ihre geschminkte Vita hysterisch, in der Fieberregulierung des Morphisten herausdeklamiert, halb kummervoll, halb auf Wirkung bedacht; wie Schutzmann Schierke ohne Verständnis dazwischenblökt; wie der Theaterdirektor seine schmunzelnde Freude an der effektvoll gesteigerten „Szene“ hat – und wie „det Kindeken“ sich aus dem Getobe lautlos in bessere Gefilde rettet! Davor sitzt man mit einem Lächeln, das langsam erstarrt und sich langsam aus der Erstarrung wieder löst.

Tragikomödie. Schillerndes, flammendes, flackerndes, purzelndes, jagendes Hin und Her des grausig-erhabenen-skurrilen Alltags. „Erfinden Sie so was mal, guter Spitta“, sagt der Zuschauer Hassenreuter, der selber erfunden ist.“
(Siegfried Jacobsohn: aus einer „Ratten“-Kritik von 1916)

Harro Hassenreuter, ein ehemaliger Theaterdirektor
Frau Hassenreuter
Walburga Hassenreuter, deren Tochter
Jann P.
Tatjana W.
Helena K.
Pastor Spitta, ein Landpfarrer
Frau Spitta
Erich Spitta, deren Sohn, Kandidat der Theologie
Fabian V.
Jelena D.
Damian R.
Alice Ritterbusch, eine Schauspielerin
Nathanael Jettel, ein Hofschauspieler
Kegel, ein Schüler Hassenreuters
Dr. Käferstein, ein zweiter Schüler Hassenreuters
Asaja K
Andreas S
Michael M
Johannes K
Paul John, ein Maurerpolier
Jette John, seine Frau
Bruno Mechalke, ihr Bruder
Matthias H.
Dagmar K.
Daniel A.
Pauline Piperkarcka, ein Dienstmädchen
Sidonie Knobbe, eine Nachbarin
Selma Knobbe, deren Tochter
Kea G.
Johanna F.
Sandra W.
Frau Kielbacke, eine Nachbarin
Arzu H
Christina C
Quaquaro, ein Hausmeister
Schutzmann Schierke, ein Polizeibeamter
Tim B.
Moritz T.
Giuseppe, ein Ganove
Stella, ein Ganove
Chris-Julian B.
Arzu H.
 Backstage
Aufführungsrechte
Felix Bloch Erben, Berlin
Spielfassung der Szenen
die jeweils Spielenden
Kostüme und Requisite
alle Beteiligten
Eine Produktion des
Literaturkurs 13
Kursleitung
Thomas Mehl

Gerhart Hauptmann
 
Am 15. November 1862 in Schlesien als Sohn eines Gasthofsbesitzers geboren, zählt Gerhart Hauptmann zu den bedeutendsten Vertretern des Naturalismus. Sein umfangreiches Schaffen ausschließlich darauf zu beziehen, wäre indessen den Intentionen des Autors ebenso wenig gerecht wie der stilistischen Vielfalt seiner Dramen. Die Verbundenheit mit seiner schlesischen Heimat und die in seiner Jugend erfahrene wirtschaftliche Not bestimmen immer wieder seine Themen, Motive und Charaktere.
   Nachdem er mit 16 Jahren die Realschule in Breslau verlassen hat, beschäftigt er sich mit vielen unterschiedlichen Studien, ohne sich für die eine oder andere Richtung entscheiden zu können. Nach einem Semester in Jena (Studium der Geschichte) reist er über Berlin nach Hamburg zu seinen Eltern, die dorthin übergesiedelt waren. Eine Mittelmeerreise führt ihn nach Barcelona, Marseille, Genua und Neapel, nach Capri und Rom, wo er den Winter als Bildhauer verbringt. Wegen einer Erkrankung zieht er zurück nach Deutschland, zeichnet an der Kunstakademie in Dresden, studiert Geschichte in Berlin und nimmt dort auch Schauspielunterricht.
   Die Heirat mit einer Großkaufmannstochter im Jahr 1885 enthebt ihn materieller Sorgen und sichert die Existenz eines freien Schriftstellers. 1889 führt die Uraufführung des sozialen Dramas Vor Sonnenaufgang am Berliner Lessing-Theater zu einem handfesten Theaterskandal. Seine Schaffenskraft leidet darunter nicht. Im Gegenteil: 1893 werden die Dramen Die Weber, Der Biberpelz und Hanneles Himmelfahrt innerhalb von zehn Monaten an drei Berliner Bühnen uraufgeführt. Bald zählt der "Revolutionär" zu den Etablierten, wird als Volksdichter gefeiert und erhält 1912, ein Jahr nach der Uraufführung der Ratten, den Literatur-Nobelpreis, während ihm im Kaiserreich von "Allerhöchster Stelle" der Schiller-Preis verweigert wurde.
   Die Weimarer Republik hingegen feiert in Hauptmann den repräsentativen, weltof-fenen Patrioten. Die Nationalsozialisten missbrauchen Namen und Werk zu Propagandazwecken. Hauptmann bleibt in Deutschland, wendet sich aber in der Auseinandersetzung mit der griechischen Mythologie neuen Stoffen zu. In hohem Alter stirbt er am 6. Juni 1946 in Agnetendorf im Riesengebirge, kurz nachdem er von den russischen Besatzungsbehörden aufgefordert worden war, sein Haus und seine Heimat zu verlassen.
   Gerhart Hauptmanns Werk ist noch nach mehr als hundert Jahren auf den Theatern lebendig geblieben, und seine Figuren sind so lebendig wie ehedem. Es sind Überlebenskämpfer in einer sich überschlagenden Zeit, Menschen, die ihre Ängste und Hoffnungen, ihre Überforderung, ihre unerfüllten Träume mit sich herumschleppen, die laut die Schuld am eigenen Missglücken dem Andern aufbürden, die lieber austeilen als einstecken - Menschen der modernen Zeit eben!




Zurück zum Seiteninhalt